Das Glaskinn und der Charmeur
Der Kampf gegen Lennox Lewis um den WM-Titel ist für Witalij Klitschko die Chance seines Lebens. Allerdings: Bei einer Niederlage steht die Karriere des ukrainischen Schwergewichtlers auf dem Spiel - und die seines Promoters Klaus-Peter Kohl.
Anwälte werden auch dafür bezahlt, in heiklen Verfahren die Ruhe zu bewahren. Insofern machte Björn Ziegler, Jurist im Berliner Büro der US-Kanzlei Hogan & Hartson Raue, zuletzt einen überaus guten Job.
Zu Zieglers Mandanten gehört der Box-Promoter Klaus-Peter Kohl, Chef des Hamburger Proficamps Universum. Seit Monaten arbeitet der Advokat an einem Kontrakt für einen Titel-Fight zwischen dem Universum-Boxer Witalij Klitschko und dem Schwergewichtschampion Lennox Lewis aus England. Über 50 Vertragsentwürfe schickte Ziegler bereits an das Lewis-Management, und immer wieder kam das komplizierte Werk blanko zurück - bis man sich endlich auf ein Gefecht im kommenden Dezember verabredete.
Mitte voriger Woche nahm der Fall dann aber noch mal eine überraschende Wendung. Da meldeten sich die Gesandten des Briten mit einem erstaunlichen Angebot: Klitschko könne jetzt wirklich gegen Lewis boxen - allerdings sofort.
DER SPIEGEL
Seitdem ist Ziegler wieder mächtig im Stress. Wie eine Flutwelle rauschte die Nachricht über den unverhofften Big Deal rund um die Welt. Hin und her wogten Gerüchte, der Kampf könne womöglich doch noch platzen. Selbst auf der Geschäftsstelle bei Universum in Hamburg-Wandsbek wussten die Mitarbeiter zwischenzeitlich nicht mehr, was gespielt wird. Nur Ziegler behielt die Nerven und konstatierte trocken, man könne "davon ausgehen", dass "die Sache klappt".
Die Aussage war vorsichtig formuliert - schließlich kennt Ziegler die Empfindlichkeiten der Boxbranche. Doch vieles spricht dafür, dass es dieses Wochenende im Staples Center in Los Angeles zu dem Showdown kommt, den die Szene seit längerem herbeisehnt. Und spätestens wenn der Gongschlag die erste Runde eröffnet, wird auch vergessen sein, wie es zum Kampf Lewis gegen Klitschko gekommen ist.
Denn dass der hünenhafte Ukrainer nun gegen den Besten der Welt antreten darf, geschah eher aus der Not heraus. Eigentlich sollte Lewis, der sich eine Kampfpause von einem Jahr gönnte, gegen den harmlosen Kirk Johnson sein Comeback geben. Als der Amerikaner wegen einer Brustmuskelverletzung absagte, drängte der übertragende Fernsehsender HBO jedoch auf einen Kampf gegen Klitschko, der ursprünglich gegen Cedric Boswell nur im Vorprogramm zum Lewis-Fight antreten sollte.
DDP
Witalij Klitschko nach seinem K.o.-Sieg über den US-Amerikaner Larry Donald im Kampf um die Internationale Schwergewichtsmeisterschaft der WBA
Nun sind die Box-Fans in Deutschland wie elektrisiert. Die "Bild"-Zeitung bejubelte gar den "Kampf des Jahres". Zwar stammt Klitschko aus der Ukraine, dennoch herrscht hier zu Lande fast eine Euphorie wie zu seligen Boxzeiten Max Schmelings. Das ZDF, das den Fight um 4.30 Uhr übertragen wird, schickte flugs ein Zehn-Mann-Team in die Staaten - das Publikum soll nichts verpassen.
Nur im Lager des Herausforderers herrschte auffallende Zurückhaltung. Selbst Promoter Kohl, ansonsten ein Freund der lauten Töne, wirkte eher nachdenklich. Er weiß, dass der Kampf für Universum auch "ein Risiko" birgt. Denn einerseits markiert das Duell den Höhepunkt in der Laufbahn des Großgastronomen aus Hamburg. Sollte Klitschko gewinnen, wäre Kohl mit einem Schlag auf Augenhöhe mit bislang schier übermächtigen amerikanischen Box-Tycoons wie Don King.
Andererseits steht Kohls Imperium auf dem Spiel. Zwar hat der gelernte Speditionskaufmann mit dem Halbschwergewichtler Dariusz Michalczewski und Regina Halmich Weltmeister im Stall. Doch das richtige Geld ist nur mit den Jungs aus dem Schwergewicht zu verdienen.
Seit 1984 ist Kohl, Sohn eines Hamburger Kohlenhändlers, bereits im Boxgeschäft. Doch in der Ära von Henry Maske hatte er schlechte Karten. Denn der "Gentleman-Boxer", der in den neunziger Jahren einen Boom in Deutschland auslöste, kämpfte nicht für Kohl, sondern für dessen deutschen Dauerrivalen Wilfried Sauerland.
Mittlerweile jedoch ist Kohl die uneingeschränkte Nummer eins im Land. Im Wesentlichen verdankt er den Aufstieg den Boxbrüdern Witalij, 31, und Wladimir Klitschko, 27. Seit 1996 stehen die fulminanten Muskelmänner bei Universum im Ring. Wurden Kohls Kämpfe damals von Sat.1, Premiere oder dem Spartensender DSF übertragen, verfügt er heute, dank der Klitschkos, über einen gut dotierten Vertrag mit dem ZDF.
Bislang verlief die Karriere der beiden Imageträger weitgehend märchenhaft. Nicht einmal Sven Ottke bringt solche Fernsehquoten wie die Klitschkos - allenfalls der Skispringer Sven Hannawald erreicht höhere Beliebtheitswerte.
Industrie und Society sind begeistert von dem "doppelten Lottchen im XXL-Format", wie die Marketing-Zeitschrift "Horizont" die Brüder einmal nannte. Es gibt kaum eine Promi-Gala, auf der das joviale Duo nicht auftritt. Es macht Werbung für Edelklamotten und Frühstücksflocken, reist als Unesco-Botschafter durch die Welt und vertreibt nebenbei noch Fitnessbücher.
Was das Publikum und die Wirtschaft so anzieht, ist der Charme der Boxer. Wladimir entzückt weibliche Fans mit eigenwilligen Lebensweisheiten ("Glück kommt durch die Augen in die Seele"). Witalij wiederum legt gesteigerten Wert darauf, nicht mit den Rüpeln der Boxszene in einen Topf geworfen zu werden. Immerhin wurde ihm in der Ukraine der Doktortitel der Sportwissenschaften verliehen. Einmal war mit "Doktor Faust" ("Bild") sogar in Hamburg eine Lesung anberaumt. Klitschko sollte mit der Schauspielerin Iris Berben aus dem Werk "Der Meister und Margarita" seines in Kiew geborenen Lieblingsautors Michail Bulgakow vortragen. Leider kam es nicht dazu. Klitschko wollte nicht auf Deutsch lesen, seine russische Ausgabe des Buches hatte er dummerweise zu Hause gelassen.
Aber können die beiden auch wirklich gut genug boxen, um Kämpfer wie Lewis oder Tyson zu schlagen?
Immer wieder kamen ernsthafte Zweifel auf. Erst kürzlich ging Wladimir gegen den hüftsteifen Südafrikaner Corrie Sanders kapital k.o. Es wird noch Monate dauern, bis sich der Verlierer von diesem Schock erholt.
So soll nun Witalij, eigentlich der weniger Talentierte der beiden, in die Bresche springen. Der Druck ist hoch. Eine Niederlage gegen Lennox Lewis würde wohl das Ende seiner Karriere bedeuten und zudem die Machtposition Kohls nachhaltig ramponieren. "Held oder Fußnote", so beschrieb die "Süddeutsche Zeitung" die Aussichten.
Bislang unterlag Klitschko in 33 Profikämpfen erst einmal. Die Niederlage gegen Chris Byrd im April 2000 - Klitschko gab nach einer Verletzung in der zehnten Runde auf und verlor so seinen Titel als Weltmeister des Verbandes WBO - nahm man ihm allerdings ausgerechnet in den USA, dem gelobten Land für Faustkämpfer, besonders krumm. "Weichei", so höhnte der Boxchef des Fernsehsenders HBO, Lou Dibella, über Klitschko. Da half auch nicht die zornige Replik des Geschmähten: "Ich bin ein Eisenei."
Nun kann es Klitschko, Ranglisten-Erster der Verbände WBA und WBC, beweisen. Und so schlecht stehen die Chancen gar nicht, am Wochenende als Weltmeister die Halle zu verlassen. Mit Lennox Lewis steht Klitschko zwar jener Mann gegenüber, der schon seit fünf Jahren das Schwergewicht dominiert. Doch in Expertenkreisen gilt der Einzelgänger mit den Rasta-Löckchen bereits als Auslaufmodell.
Ein Jahr lang stand der 37-Jährige nicht mehr im Ring. Bei seinem letzten Fight im vergangenen Juni besiegte er Mike Tyson mit einem spektakulären K.o. in Memphis. 17,5 Millionen Dollar brachte Lewis dieser Sieg. Seither lebt der passionierte Schachspieler in einer eigenen Welt.
In seiner Villa auf Jamaika, seinem Lieblingsdomizil, umgibt er sich in der Regel nur mit Leuten, die ihm mindestens einmal am Tag sagen, was für ein toller Kerl er ist. Selbst auf seinen Trainer Emanuel Steward, eine anerkannte Größe im Geschäft, hört der entrückte Grande immer seltener. "Dem Weltmeister braucht niemand zu erklären, wie man boxt", glaubt Lewis.
So tobt nun der Gelehrtenstreit über den Ausgang des Kampfabends in L. A. Jean- Marcel Nartz, Sportlicher Leiter bei Universum, macht kein Hehl daraus, dass für ihn Lewis "der Favorit" sei. Der Weltmeister habe sich nur deshalb auf die Fäustelei eingelassen, weil er Klitschko allenfalls als Durchgangsstation betrachte. Schließlich winke nach einem Sieg ein Gefecht gegen den amerikanischen Star Roy Jones. Dieser Fight würde Lewis noch mehr Millionen bringen als einst die Ringschlacht mit Tyson. "So was lässt der sich doch jetzt nicht vermasseln", sagt Nartz.
Tobias Drews, Deutschlands angesehenster Boxkommentator und Mitglied der Ranglistenkommission beim Bund Deutscher Berufsboxer, sieht dagegen Klitschko im Vorteil. Zwar werde der ehemalige Weltmeister im Kickboxen mit seinem kantigen Boxstil "keinen Preis als Ballerina" gewinnen. Dafür sei der schlag- wie nervenstarke Ukrainer mental im Vorteil: "Witalij ist im Gegensatz zu Lewis heiß."
Vor allem aber gilt in der Szene als gesichert, dass Lewis über ein so genanntes Glaskinn verfügt - was besagt, dass der Champion nicht viel einstecken kann. Schon zweimal, bei seinen Niederlagen gegen Oliver McCall (1994) und Hasim Rahman (2001), erlag Lewis dieser für Boxer unvorteilhaften Eigenheit.
So erklärt sich möglicherweise auch, warum Lewis trotz allen gespielten Selbstbewusstseins ("Klitschko hat einen schweren Fehler gemacht, mich herauszufordern") in der langen Korrespondenz mit dem Berliner Rechtsanwalt Ziegler ganz besonders auf eine Klausel im Kampfvertrag drängte. Verliert der Champion den Fight gegen Klitschko, heißt es dort, so ist ihm ein Revanchekampf garantiert.
GERHARD PFEIL
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